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„ Beweg′ Dich Deiner Natur gemäß.“

Sitzen wie ein Meister
8. Januar 2015

Quelle: primeorchestra.blogspot.de

Sitzen ist böse - das hat sich inzwischen herumgesprochen. Es macht uns krank, verkürzt unser Leben. Aber warum nur?
Das schlimmste am Sitzen ist die unwahrscheinlich lange Zeit, die wir damit verbringen: wir sind eine regelrechte Sitzkultur geworden, vom Essen zum Autofahren übers Arbeiten am Bürotisch bis hin zum Ausruhen auf der Couch und wenn wir besonders fleissig sind, 'setzen' wir uns noch aufs Fahrrad.
Zum einen ist es die körperliche Inaktivität während unserer Sitzzeit, die uns schadet: Stühle mit Rückenlehnen und Armlehnen erlauben es uns, mit nahezu Null Energieaufwand am Leben teilzunehmen.
Dazu kommen die immergleichen Gelenkpositionen: Hüftbeugung und Kniebeugung in etwa 90°. Und nicht nur unsere Gelenke müssen stundenlang in dieser Position verharren, auch die sie umgebenden Strukturen: Arterien, Venen, Lymphgefäße, Nerven, das Bindegewebe. Ganze Muskelgruppen, wie z.B. die ischiocrurale Muskulatur an der Hinterseite unserer Beine, verkürzen sich mit der Zeit und verändern so dauerhaft unser Gangbild und vermindern unsere Beweglichkeit.
Wir sprechen hier übrigens vom Sitzen auf Stühlen. Das Sitzen auf dem Boden ist etwas vollkommen anderes. Allein sich auf den Boden zu setzen oder gar, wieder aufzustehen, stellt für die meisten von uns ab einem gewissen Alter eine grössere Herausforderung dar bzw. wird sogar unmöglich. Das ist nicht altersbedingt - wir können es irgendwann nur nicht mehr, weil wir es verlernt haben.

Aber zurück zu uns. Sie können wahrscheinlich nicht von heute auf morgen alle Stühle, Sessel und Sofas rausschmeissen - auch wenn dies das mittelfristige Ziel sein sollte.
Wenn schon sitzen, dann wenigstens auf eine Art und Weise, die zumindest weniger schadet. Das können Sie SOFORT lernen.
Von einem Meister des Klavierspiels und wie sich herausstellt - auch des Sitzens: Vladimir Horowitz!

Um sein (Sitz)können weiter zu ergründen, hilft uns mein Miniskelett.
Klicken Sie auf das Bild, es wechselt dann zwischen zwei Sitzmöglichkeiten hin und her und versuchen Sie zu erraten, welche Sitzposition die bessere ist!

Das war nicht so schwer, oder?

Die ganze Bewegung findet lediglich durch eine Drehung bzw. Kippung des Beckens statt, der Drehpunkt ist in der Beckenmitte, im Bereich des Hüftkopfes.
Also das Ganze nochmal mit Drehpunkt. Auf das Bild klicken!

Im nächsten Bild können Sie erkennen, was die schlechte Position Ihrem Steissbein antut:
Wenn Sie das Becken einrollen (oder man könnte auch sagen den Schwanz einklemmen), drückt Ihr Körpergewicht Ihr Steissbein nach innen.
Das Steissbein ist nicht dafür vorgesehen, die Last Ihres Oberkörpers zu tragen, auch die empfindlichen Nervenbahnen in dieser Gegend mögen keinen dauernden Druck.
Wenn das Steissbein nach innen gedrückt wird, erhöht das auch den Druck in Ihrem Bauchraum - ein weiteres Problem unserer Zeit, welches solche Leiden wie (Bauchwand-)Brüche, Beckenbodenschwäche oder Rektusdiastase begünstigt. Und schliesslich: auch ein Baby im Bauch braucht genügend Platz.

Diese eingerollte Beckenposition bedeutet aber auch eine Dauerbelastung der Gelenke, die Steiß- und Kreuzbein mit dem restlichen Becken verbinden - die Iliosacralgelenke. Probleme mit diesen Gelenken sind langwierig und ziemlich schmerzhaft - wetten, Sie haben wenigstens einen in Ihrem Bekanntenkreis, der ein Lied davon singen kann?

Die bessere Sitzposition (draufklicken!) hingegen lässt Ihr Steissbein schweben - welche Erleichterung!
Das Becken ist hier in sogenannter Neutralstellung, Kreuz- und Steissbein können sich entfalten, das Körpergewicht ruht auf den - ja, die heissen wirklich so: Sitzhöckern.

Aus der richtigen Kippung des Beckens ergibt sich ganz von selbst die natürliche Stellung der Lendenwirbelsäule, man nennt sie Lordose.
Ist das Becken hingegen eingerollt, rundet sich die Lendenwirbelsäule automatisch in die falsche Richtung. Sogar an meinem Miniskelett können Sie erkennen, wie sich die Bandscheiben zwischen den Wirbelkörpern dadurch verformen.
Angenommen, Sie nehmen diese eingerollte Sitzhaltung viele Jahre lang viele Stunden am Tag ein -
Ahoi Bandscheibenprobleme, schmerzhafte Verspannung der Rückenmuskulatur, Iliosacralgelenksarthrose!
Klicken Sie auf das nächste Bild um den Unterschied zu sehen!

Sie können JETZT GLEICH ausprobieren, wie es richtig geht. Nehmen Sie sich dafür ein geeignetes Sitzmöbel, d.h. eines mit gerader Sitzfläche.
Strecken Sie den Po nach hinten raus als ob Sie imaginäre Frackschösse nach hinten klappen möchten und setzen sich dann an die vordere Kante des Stuhls.
Die Gesäßmuskulatur, also der Hintern, sollte jetzt hinter Ihnen sein und nicht etwa unter Ihnen, wie es der Fall ist, wenn man auf einem eingerollten Becken sitzt.

Merke: es heisst Hintern und nicht Untern.

Sie werden mit etwas Übung schnell spüren, wie es richtig geht. Am schnellsten lernt man es zweifellos mit etwa 15kg plus im dritten Trimester einer Schwangerschaft - Sie werden nicht mehr anders sitzen wollen, das Becken ist entfaltet und wird nicht eingedrückt, sogar das Atmen fällt leichter.
Eine Rückenlehne erübrigt sich bei dieser Art zu sitzen. Womit wir nochmals beim Sitzgerät wären: Es stellt sich heraus, dass so eine Klavierbank recht gut geeignet ist. Keine einengenden, bewegungshemmenden Rücken- oder Armlehnen, etwas Polsterung, aber nicht zuviel, höhenverstellbar, gerade und auch breite Sitzfläche. Da kann man die Sitzposition gut variieren, sprich: sich bewegen.
Es gibt ganz andere Kandidaten, die Ihnen ein schadstoffarmes Sitzen geradezu verunmöglichen: sämtliche Sofas, Sessel und Stühle, deren Sitzfläche nach hinten abfällt und ganz verheerend: Autositze, auch Schalensitze genannt.

Also, prüfen Sie Ihre Stühle, Sessel, Bänke etc., erforschen Sie die verschiedenen Positionen Ihres Beckens auf unterschiedlichen Sitzen und danach: machen Sie einen kleinen Spaziergang!

Noch Fragen? Ihre Andrea Endisch