· a u s g e r i c h t e t ·

„ Beweg′ Dich Deiner Natur gemäß.“

Endlich … "Move your DNA" auf deutsch erhältlich!
24. Oktober 2016

Quelle: MVG, ISBN: 978-3-86883-855-8

Der deutsche Titel lautet "Bewegung liegt in Deiner DNA - wie man lernt, sich wieder natürlich zu bewegen und dadurch gesund wird".
Und da ich bei der Übersetzung helfen durfte und das Vorwort für die deutsche Ausgabe geschrieben habe, steckt auch etwas von meiner Lebenszeit darin. Gut investiert, denke ich.
Denn für ein paar Euro kann jetzt jeder hierzulande einen tiefen Einblick in Katy Bowmans Erkenntnisse erhalten.

Das Vorwort dürfen Sie hier schonmal lesen:

"Frau Doktor, das kann doch gar nicht sein, dass der Verschluss in meiner Beinschlagader vom Rauchen kommt. Sie müssen wissen, ich rauche jetzt schon über 40 Jahre und es hat mir noch nie geschadet."
Ist das nicht der Gipfel der Ignoranz? Doch wir wollen nicht so streng sein; sagen wir statt Ignoranz also lieber: eine beschränkte Sichtweise. Denn das einfache Prinzip von Ursache und Wirkung ist manchmal schwer durchschaubar. Eine Zigarette zu rauchen, verursacht keine Schmerzen im Bein, nein, es beruhigt die Nerven, vielleicht schmeckt es gut. Aber 20 Zigaretten am Tag und das 20 Jahre lang hat Folgen. Für unsere Arterien kann das heißen, dass andauernde winzige Verletzungen der Gefäßinnenwand gemeinsam mit einer Art chronischen Entzündung zum Endzustand Arteriosklerose führen.
Endzustand klingt nicht gut. Als Gefäßchirurgin sehe ich jeden Tag Arterien, die unbiegsam sind wie Eisenrohre und gleichzeitig zerbrechlich wie Eierschalen. So etwas ist nicht heilbar. Wir können die Symptome lindern, denn die moderne Medizin hat raffinierte Methoden auf Lager. Aber es ist mühsam (haben Sie schon einmal versucht, eine Eierschale zu nähen, aber bitte wasserdicht?), der Ausgang ist manchmal ungewiss und die Erkrankung schreitet ja fort. Wir können einmal, zweimal, aber niemals x-mal operieren, dann sind die inneren Narben eine unüberwindliche Barriere oder die kleinen Gefäße, die wir nicht erreichen können, verschlossen.

Ersetzen wir doch einmal die, wie wir heute wissen, böse Zigarette durch in unserer Kultur normale, alltägliche Verhaltensweisen, deren gemeinsamer Nenner Bewegungsarmut ist. Einen Abend lang stundenlang vor dem Fernseher im Sessel fläzen? Gemütlich und unterhaltsam. Schuhe tragen und auf geteerten Wegen laufen? Bequem, schnell, sicher.
Verhalten wir uns so aber nun jeden Tag, über viele Jahre – wie wird das unseren Körper verändern?
Führt das womöglich auch zu unseligen Endzuständen?

Machen wir uns nichts vor: Wir gehen doch meist erst zum Arzt, wenn Symptome unerträglich werden, also zu einem Zeitpunkt, an dem unser Körper mit all seinen erstaunlichen Anpassungs- und Kompensationsmechanismen gescheitert ist.
An dem Punkt kann der Arzt ja auch helfen, dafür ist er ausgebildet worden, sind starke Medikamente, künstliche Gelenke, spektakuläre Operationsmethoden entwickelt worden.

Doch ich fürchte, auch unsere Sichtweise ist beschränkt, wie die des armen Kerls, den ich eingangs zitiert habe. Bei der Erforschung der Ursachen von Erkrankungen, die für unsere modernen Gesellschaften typisch sind, wie Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Arthrose, Verdauungsstörungen etc., sind wir noch nicht sehr weit. Auch geben wir uns allzu schnell zufrieden, zum Beispiel mit Erklärungen wie »das kommt vom Alter« oder »das liegt in der Familie«. Kurzfristig sind sie vielleicht ein Trost, tatsächlich aber lassen wir uns so jede Möglichkeit zur Eigeninitiative nehmen.

Die Sichtweise der Biomechanikerin Katy Bowman wird uns bei dem Verständnis von Ursache und Wirkung gehörig auf die Sprünge helfen. Mehr noch, sie zeigt uns auch einen Weg aus unserer Misere.

Ironischerweise habe ich Katy Bowman im Internet entdeckt, als mir im Rahmen einer Risikoschwangerschaft sozusagen Bewegungslosigkeit verordnet worden war. Wenigstens hatte ich viel Zeit zu lesen. Und ich verschlang ihren Blog Katy says. Wissen Sie übrigens, warum er so heißt? Weil ihre begeisterten Schüler, Verwandten und Freunde ständig mit Sätzen nervten wie »Katy sagt, das kommt daher …«, »Katy sagt, wenn man es so macht, dann …«. Ich dachte immer, meine Sichtweise auf den menschlichen Körper sei schon recht breit aufgestellt: Sport, Tanz, Min Tanakas »Body Weather Work« …, und doch war ich peinlich berührt. Diese Frau schreibt schon seit Jahren unfassbar wichtige Dinge, ist in den USA Bestsellerautorin – und ich hatte noch nie von ihr gehört, war nur aus Zufall auf ihre Seite gestoßen! Mein Erstaunen wurde noch größer, als ich herausfand, dass es im ganzen deutschsprachigen Raum niemanden gab, der bei ihr gelernt hätte. Es blieb mir also gar nichts anderes übrig, als selber im Fernstudium eine Ausbildung bei Katy zu machen.

Und nun endlich erscheint eines ihrer Bücher in deutscher Übersetzung. Ein Dankeschön dafür an Katys Agentin, Sylvia Hayse, eine Ex-Münchnerin, die wie Katy an der amerikanischen Westküste lebt. Sie arbeitet unermüdlich daran, dass Katys Werk in andere Sprachen übersetzt und publiziert wird, und hat mit dem Riva-Verlag jetzt endlich einen deutschen Verlag gefunden.

Höchste Zeit, denn wenn man eine Schlagzeile liest wie »Die Mobilität der Deutschen hat schon wieder zugenommen«, dann ist damit nicht etwa gemeint, daß wir uns mehr bewegen, sondern, dass wir im Schnitt mehr Kilometer am Tag zurücklegen.
Womit? Natürlich überwiegend mit dem Auto. Auch ein deutsches Kind.
Ein Reklameplakat für das erste Auto, den Benz Patent-Motorenwagen, warb mit der Verheißung: »Bequem und absolut gefahrlos«. Nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, müssen Sie sich diesen Satz noch einmal vornehmen, versprochen?
Die Statistik sagt: Von den ca. 40 Kilometern, die jeder am Tag im Durchschnitt zurücklegt, absolviert man 94 Prozent motorisiert (Auto, Bus, Bahn), 3 Prozent mit dem Fahrrad und ebenso nur 3 Prozent zu Fuß, Tendenz bei letztem Punkt stetig abnehmend. Und unsere Kinder? »Das Auto dominiert fast alle Wegezwecke, besonders bei den Kleinen« (MiD, Mobilität in Deutschland).
Wenn man außerdem erfährt, daß der Mobilitätsforscher Werner Brög, der diese Studie designt hat, heftige Gefechte führen musste, damit »zu Fuß gehen« überhaupt in die Statistik mit einfließen durfte, fragt man sich schon, ob bei unserer Definition von Mobilität nicht einiges im Argen liegt.

Und genau da trifft Katys Buch ins Schwarze. Sie bringt uns bei, wieder »richtig« zu gehen, von Langeweile ist da keine Spur mehr. Man denkt nie mehr missmutig darüber nach, wie man einen Umweg in Zukunft vermeiden kann, sondern freut sich, eine Gelegenheit zum Gehen zu haben. Auch die kleinen, subtilen Ausrichtungskorrekturen, die sie uns mitgibt, machen uns achtsamer und aufmerksamer, wie Mini-Meditationen den ganzen Tag über. Katy hilft uns damit auch, unsere ganze Lebensweise zu durchleuchten – und »bequem« ist auf einmal nicht mehr erstrebenswert.

DNA und Gene sind Begriffe, die wir hierzulande eher mit verstörenden Dingen verbinden wie Gentechnik, gar Genmanipulation oder auch die schicksalhafte Unausweichlichkeit unseres persönlichen genetischen Codes. Dabei ist die DNA einfach ein Teil unserer Natur. Wir können Einfluss darauf nehmen. Nein, wir können nicht den Code neu schreiben, aber unser Verhalten beeinflusst, wie er gelesen wird. Denn in jedem Zellkern unseres Körpers befindet sich eine DNA, die reagiert. Auf Bewegung, aber auch auf Mangel daran.
Und auf einmal liegt das Schicksal wieder in unseren Händen.

Daneben macht es auch schlichtweg Spaß, Katy zu lesen. Vor allem, weil sie frei denken kann und nicht nur auf Gelerntem, aber vielleicht niemals tatsächlich Verifiziertem aufbaut.
Genau das ist Wissenschaft in ihrer schönsten Form: erfrischend, umwerfend, ideologiefrei, nachvollziehbar. Und zwar für jeden, dank Katys unprätentiöser Art und der Großzügigkeit, mit der sie ihre Erkenntnisse weitergibt.

Dr. med. Andrea Endisch